St. Pauli vs Ingolstadt: Interview mit Ralph Gunesch
Aufstieg käme für St. Pauli noch zu früh
Ralph Gunesch machte 198 Partien für den FC St. Pauli von der Regional- bis zur Bundesliga und stand auch für die Schanzer in 53 Spielen seinen Mann. Vor dem Duell seiner Ex-Klubs spricht der heute 34-Jährige über FCI-Coach Stefan Leitl, das besondere Gefühl, im Spielertunnel von St. Pauli zu stehen und seine klare Haltung in puncto Menschlichkeit.
Herr Gunesch, am Wochenende kommt es zum Duell Ihrer Ex-Klubs St. Pauli und Ingolstadt. Wem drücken Sie die Daumen?
Ralph Gunesch: „Zu beiden Vereinen habe ich eine sehr, sehr enge Bindung. Auf St. Pauli hatte ich eine lange Zeit mit vielen Aufs und Abs. In Ingolstadt holte ich die Zweitliga-Meisterschaft, auch wenn ich wegen meiner langen Verletzung nur ein Spiel machte.
Zurzeit lebe ich in Ingolstadt und kenne außerdem den Chef-Trainer Stefan Leitl sehr gut, habe früher mit ihm gespielt. Andererseits würde ich St. Pauli ungern verlieren sehen. Deswegen stehe ich dem ganzen neutral gegenüber, mit vielleicht etwas mehr Daumendrücken für Stefan.“
War damals bereits abzusehen, dass Stefan Leitl irgendwann Trainer wird?
Gunesch: „Stefan war früher schon ein absoluter Führungsspieler, jemand, der immer zwei, drei Schritte weitergedacht hat. Sowohl auf dem Feld als auch in der Spielvorbereitung. Ich wünsche mir, dass Stefan seine Zeit als Chef-Trainer jetzt positiv für sich nutzt und vielleicht seine ersten Spuren im Profi-Fußball hinterlässt, damit er sich für weitere Aufgaben empfehlen kann.“
Sie haben die Zweitliga-Meisterschaft mit dem FCI bereits angesprochen. Ihr schönster Erfolg?
Gunesch: „Nominell schon, neben dem Derbysieg mit St. Pauli gegen den HSV natürlich. Allerdings war es so, dass ich die erste Hälfte mit meinem Kreuzbandriss zu tun hatte und erst zur Rückrunde eingestiegen bin.
Es gab für den Trainer keinen Grund zu wechseln, das haben die Jungs großartig gemacht. Ich freue mich, Teil davon gewesen zu sein. Für mich persönlich waren aber natürlich die Saisons, in denen ich viel gespielt habe, trotzdem etwas anderes.“
Der FCI ist mit hohen Ambitionen gestartet, belegt aktuell jedoch nur Platz 15. Was benötigt der Klub, um auf lange Sicht wieder nach oben zu kommen?
Gunesch: „Die Entscheidung, Stefan Leitl als Chef-Trainer zu installieren, ist in der Mannschaft gut angekommen. Einfach weil ihn viele Spieler kennen. Weil er nahe an der Spielergeneration dran ist, erreicht er sie sehr gut. Der Verein braucht aber jetzt Geduld. Die spielerische Qualität ist sicherlich vorhanden.
Es geht nicht von heute auf morgen, sondern Kontinuität ist gefragt. Wenn man handelnde Personen einsetzt, sollte man an denen auch eine gewisse Zeit festhalten. Aufgrund der vorhandenen Qualität glaube ich, dass sich der Erfolg dann auch wieder einstellt.“
Kommen wir zu Ihrem anderen Ex-Klub: St. Pauli hat sich in der Führungsetage mit Ewald Lienen und Uwe Stöver neu aufgestellt. Dabei ist außerdem Andreas Rettig, insgesamt also viel Fachkompetenz. Geht es für den Verein so auf lange Sicht in die Bundesliga?
Gunesch: „Es geht für St. Pauli jetzt darum, an die gute Rückrunde der vergangenen Saison anzuknüpfen und vernünftig in die Saison zu kommen, um nicht in den Negativ-Strudel reinzurutschen. Über die Bundesliga wird noch nicht gesprochen, das wäre nach den letzten zwei turbulenten Jahren ein Stück zu viel.
Vieles muss sich bei St. Pauli auch noch finden. In der Offensive ist einiges noch nicht ganz so harmonisch, wie man sich das vielleicht wünscht. Das Ziel Aufstieg in die Bundesliga käme jetzt noch zu früh.“
Sie liefen 198 Mal für den FC St. Pauli auf, kickten dort sowohl in der Regional- als auch in der Bundesliga. Wie haben Sie die Entwicklung des Vereins im vergangenen Jahrzehnt wahrgenommen?
Gunesch: „Als ich 2003 nach St. Pauli kam hatte der Verein 2,5 Millionen Euro Schulden und spielte in der Regionalliga. Überspitzt formuliert hatten wir einen Trainingsplatz, einen Trikotsatz und ein paar Bälle und mussten schauen, wie wir damit zurechtkommen.
Mit dem Halbfinaleinzug in den DFB-Pokal schufen wir zwei Jahre später die finanzielle Grundlage für die folgende Zeit. Der Verein war schuldenfrei und hatte eine solide Basis, mit der gewirtschaftet werden konnte. Die Stadionpläne konnten in Angriff genommen werden und mit Holger Stanislawski als Trainer kam der Aufstieg in die zweite Liga, sowie das Abenteuer erste Liga, mit dem Höhepunkt, den HSV zu besiegen. Seitdem wurde versucht, kontinuierlich zu arbeiten.
Manchmal schlingerte es ein bisschen, aber dann haben Oke Göttlich und Co ein paar kluge Personalentscheidungen getroffen und St. Pauli wieder ins ruhige Fahrwasser gebracht. Bei St. Pauli wird einfach immer im Sinne des Vereins und nicht nach dem Befinden einzelner Personen gehandelt. Der Weg, den sie momentan eingeschlagen haben, scheint der richtige zu sein.“
Sie stehen im Spielergang und „Hells Bells“ ertönt. Was geht Ihnen durch den Kopf?
Gunesch: „Ich habe mich immer gefreut, wenn die Sonne schon untergegangen war. Die Flutlichtspiele waren noch einen Tick besser. Ansonsten freut man sich einfach, dass es losgeht. Du klopfst nochmal gegen die Plexiglaswände, um ein bisschen Krach reinzubringen und den Gegner einzuschüchtern. Dann geht es auf den Platz, es wird laut und du musst liefern.
Das sollten auch die Ingolstädter beherzigen. Die Spieler sind zwar alle erfahren, trotzdem sollte man es ansprechen und sagen, dass es hier nicht wie in einem anderen Zweitliga-Stadion ist, sondern bedeutend lauter.“
Können Sie sich noch an den 16. April 2008 erinnern?
Gunesch: „Da spielten wir gegen Hoffenheim und ich machte mein einziges Zweitliga-Tor. Ein Spiel, das wir eigentlich 0:4 verlieren müssen. Hoffenheim ist damals mit Ba, Obasi und Co durchmarschiert, eine überragende Truppe. Wir haben mit viel Einsatz und dem Publikum im Rücken das Spiel gewonnen. Stani wurde dann noch auf die Tribüne geschickt.
Das war ein einzigartiges Spiel, in welchem wir durch die Zuschauer zum Sieg getragen wurden. Wir haben uns gegen die Hoffenheimer aufgelehnt und zu keinem Zeitpunkt aufgesteckt. Dass ich dann noch mit einem Tor dazu beitragen konnte, war natürlich umso schöner.“
Sie liefen für den FCI zweimal gegen St. Pauli auf. Wie war es, plötzlich auf der anderen Seite zu stehen?
Gunesch: „Das erste Spiel war sogar am Millerntor und es hat sich ganz komisch für mich angefühlt, mit einem anderen Trikot im Tunnel zu stehen, in einem sehr vertrauten Umfeld auf dem Platz zu sein – doch nur als Gast. Ich wurde jedoch von den Fans sehr positiv empfangen, das hat mich damals extrem gefreut.“
Sie hatten als aktiver Profi stets eine klare Meinung, auch zu politischen Themen. Würden Sie sich diese auch von anderen Profis wünschen?
Gunesch: „Die Themen zu denen ich mich geäußert habe, fallen für mich unter den Begriff ‚Menschlichkeit‘. Ich würde niemals über politische Themen streiten. Ich möchte nicht, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, Sexualität oder ähnliches ausgegrenzt werden. Da würde ich mir schon wünschen, dass die Spieler in puncto Menschlichkeit klare Kante zeigen.“
Herr Gunesch, vielen Dank für das Interview!
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