St. Pauli vs Düsseldorf: Interview mit Rachid Azzouzi
Traue St. Pauli dieses Jahr den Aufstieg zu
Rachid Azzouzi war Sportlicher Leiter bei St. Pauli sowie Sportdirektor bei Fortuna Düsseldorf. Vor dem direkten Aufeinandertreffen seiner Ex-Klubs am Samstag spricht er mit Liga-Zwei.de über seine ehemaligen Vereine, das generelle Problem im deutschen Fußball sowie ein Angebot des 1. FC Kaiserslautern.
Herr Azzouzi, seit Ihrem Weggang aus Düsseldorf ist es ruhig um Sie geworden. Was machen Sie aktuell?
Rachid Azzouzi: „Ich bin gerade sehr viel unterwegs, schaue mir Spiele an und treffe mich mit Trainern sowie Verantwortlichen der Vereine und Verbände im In- und Ausland. Ich genieße auch die Zeit, um alles ein Stück weit wieder richtig einzuordnen. Zudem ist es so, dass ich einige Anfragen abgelehnt habe, weil ich von der Aufgabe nicht zu 100 % überzeugt war.“
Am Samstag kommt es zum Duell zwischen Ihren Ex-Klubs St. Pauli und Düsseldorf. Wer hat die besseren Karten?
Azzouzi: „Beide sind gut in die Saison gestartet. Ich wohne in Hamburg und habe dadurch die Möglichkeit, St. Pauli viel öfter zu sehen. Meiner Meinung nach macht Olaf Janßen einen unaufgeregten und sehr kompetenten Eindruck. Ihm und St. Pauli traue ich dieses Jahr den Aufstieg zu und würde es Ihnen auch gönnen.
Bei Düsseldorf war ich nur eine Saison. Viel zu kurz um zu sagen, was gut, schlecht oder seitdem besser geworden ist. Friedhelm Funkel ist ein sehr erfahrener Trainer, der sich medial auch sehr gut verkaufen kann. Allerdings geht der Fußball aktuell leider zu sehr in die verkehrte Richtung, wo das Wesentliche, nämlich der Fokus auf den Sport und seine Entwicklung, viel zu kurz kommt.“
Sie sprechen von der Kommerzialisierung?
Azzouzi: „Wenn Sie damit die irren Ablösesummen meinen: Die sind für mich eh unerklärlich und maßlos übertrieben. Dafür habe ich in meiner Welt kein Verständnis. Aber im Speziellen meine ich etwas anderes.
Wenn innerhalb der ersten vier Saisonspiele in der zweiten Liga vier Trainer entlassen werden und man dann in Deutschland ständig davon redet, man hätte eine der besten Ligen der Welt oder die beste zweite Liga der Welt, dann kann ich darüber nur schmunzeln.
Okay, die Nationalmannschaft hat bei der U21-EM oder beim Confed-Cup Titel gewonnen, aber in der Champions League oder der Euro League hinkt die Bundesliga, mit Ausnahme der Bayern und des BVB, seit Jahrzehnten zum Beispiel den Spaniern hinterher.
Ich glaube, das wird gar nicht so richtig wahrgenommen und man redet sich das alles schön. Das geht meiner Meinung nach alles in die falsche Richtung. Sehen Sie sich zum Beispiel die Trennung von Mehmet Scholl an (Anm. d. Red.: Als Experte der ARD). Einer der Wenigen, der auch mal Klartext redet. Weil er nicht stromlinienförmig ist, wird er abserviert. Zumindest empfinde ich es so. Das ist meiner Meinung nach ein großes Problem im deutschen Fußball.“
Sie machten als St. Pauli-Sportdirektor einen guten Job, holten heutige Leistungsträger wie Sobiech, Buchtmann und Nehrig. Wie verfolgen Sie die Entwicklung Ihrer Verpflichtungen?
Azzouzi: „Ich glaube, die Leute, die sich mit ihrem Verein und mit seiner Entwicklung auseinandersetzen, erkennen, was man in der Vergangenheit geleistet hat oder eben nicht. Es waren ja nicht nur diese Spieler die wir geholt haben. Ginczek, Gogia, Halstenberg, Sebastian Maier, Thy, Ziereis – alles junge, entwicklungsfähige Spieler und zudem ablösefrei.
Aber das meinte ich ja damit: Am Ende interessiert das leider niemanden, wenn es dann zwischendrin aus gewissen Gründen mal schlechter läuft. Da geht es leider zu oft um politische Spielchen in den Vereinen, die man betreiben muss, um gut dazustehen. Das ist irgendwas, was ich nicht so gut beherrsche und ehrlich gesagt will ich es auch gar nicht können.
Damit will ich nicht denn Anschein erwecken, dass ich allen anderen die Schuld gebe. Ich bin schon selbstkritisch genug und glaube gut einschätzen zu können, was gut oder weniger gut war. Ich bin in meiner langen Tätigkeit als Sportdirektor noch nie abgestiegen aus der 2.Liga.“
Fühlen Sie Ihre Arbeit von Ihren Ex-Vereinen also rückblickend nicht genug wertgeschätzt?
Azzouzi: „Ich habe genug Wertschätzung in meiner langen Karriere erhalten, aber darum geht es nicht. Ich habe aktuell einfach Abstand zu einem Geschäft, in dem ich über 26 Jahre gearbeitet habe. Ich war auch in diesem Rad gefangen, habe Entwicklungen falsch gedeutet, weil man einfach zu sehr mit seiner eigenen Aufgabe beschäftigt ist.
Durch die Pause habe ich jetzt die Gelegenheit, viele Sachen richtig einzuordnen. Im Gegensatz zu vielen anderen Protagonisten in diesem Geschäft, die glauben, dass nur ihre Sicht des Fußballs die Wahrheit ist, respektiere ich auch andere Meinungen und Einschätzungen.
Jedoch finde ich die Entwicklung der letzten Jahre sehr bedenklich. Es gibt leider immer mehr Geld in diesem Geschäft und alle wollen was von diesem Kuchen abhaben. Spieler und deren Berater, die immer mächtiger werden und dadurch viel größeren Einfluss bekommen innerhalb der Vereine. Dies alles schadet auf Sicht den Fußball, so wie wir ihn eigentlich alle lieben.“
Mit Rettig und Lienen vereint St. Pauli bereits jetzt viel Fachkompetenz. Was kann der neue Sportchef Uwe Stöver (ab Oktober 2017) noch verbessern?
Azzouzi: „Da muss und will ich den handelnden Leuten keine Tipps oder Ratschläge geben. Das habe ich als Sportdirektor selbst nicht gut gefunden, wenn einer aus der Ferne schlaue Kommentare abgibt. Alle sind erfahren genug, um zu wissen, was bereits gut läuft oder was verbessert werden muss.“
Düsseldorf hat auf dem Transfermarkt üppig zugeschlagen, musste allerdings Bebou ziehen lassen. Wie bewerten Sie die Transferaktivitäten der Fortuna?
Azzouzi: „Ich glaube, dass die Entwicklungen von Spielern wie Sobotka, Hoffmann oder Ayhan sehr wichtig für die Mannschaft sind. Auch, dass man einen Hennings halten konnte. Mit Gießelmann ist noch ein Guter dazugekommen und Neuhaus ist ein großes Talent. Allerdings sollte man hier die Kirche im Dorf lassen.
Er hat erst eine Handvoll Spiele in der zweiten Liga gemacht und wird jetzt über den grünen Klee gelobt – das ist nicht gut für die Entwicklung des Spielers. Das meine ich auch mit der Fehlentwicklung in diesem Geschäft. Die Spieler werden zu früh zu sehr gehypt. Die anderen Neuzugänge sind zu kurz da, um sie abschießend beurteilen zu können.“
Wäre es nicht vielleicht wichtiger, für einen nachhaltigen Erfolg stärker auf die eigene Jugend zu setzen?
Azzouzi: „Das ist es natürlich. In meiner sehr kurzen Zeit haben wir Bormuth, Iyoha, Duman und Lucoqui von der U19 beziehungsweise der U23 einen Profivertrag gegeben. Diese brauchen Vertrauen vom Verein, aber sie müssen sich auch durchsetzen wollen“.
Bei der Fortuna haben es die Eigengewächse derzeit schwer. Trainer Friedhelm Funkel hat allerdings momentan Erfolg mit seiner Philosophie. Warum ist er der richtige Trainer für die Düsseldorfer?
Azzouzi: „Er ist sehr erfahren und hat im schwierigen Düsseldorfer Umfeld die wichtigen Medien auf seiner Seite. Dies war vor allem nach der schlechten Rückrunde sehr wichtig. Jedoch sollte man Erfolg und Misserfolg nicht nur an Ergebnissen festmachen und vor allem nicht nach sieben Spieltagen.“
Sie haben bereits viele Verhandlungen hinter sich. Welcher Verhandlungspartner war der zäheste?
Azzouzi: „Der härteste Transfer war Ante Budemir von Lokomotive Zagreb zu St. Pauli. Er spielt jetzt bei Crotone in der italienischen Serie A. Der Verhandlungspartner war damals Zdravko Mamic vom Schwesternverein Dinamo Zagreb.“
Sie meinten vorhin, es ist schön, einmal Abstand zu gewinnen. Wann sehen wir Sie jedoch wieder im deutschen Profifußball?
Azzouzi: „Natürlich habe ich Lust und auch wieder die Energie. Aber es muss auch passen. Vor der Saison habe ich Kaiserslautern abgesagt. Nicht, weil die Gespräche mit den Verantwortlichen schlecht waren oder der Verein nicht reizvoll gewesen wäre. Ich hatte kein gutes Bauchgefühl bei der Sache. Und darauf werde ich in Zukunft noch mehr hören.“
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