Relegation: „Komm Elton, hau noch einen rein“
Rückblick auf die größte Aufholjagd im Entscheidungs-Krimi
Aus voller Kehle schrien die Reporter ihre Begeisterung über das eben Gesehene in den Bielefelder Abendhimmel: „Das ist der Aufstieg! Das gibt es gar nicht! Aus dem Nichts macht Elton da Costa das 4:2 für die Lilien und schießt Darmstadt 98 in die 2. Bundesliga! Merkt Euch den Namen: Elton da Costa!“
Wenn es in der Reihe der bisherigen Relegationsduelle zwischen dem Tabellendritten der 3. Liga und dem Drittletzten der 2. Bundesliga ein besonderes Highlight festzuhalten gilt, dann ist es dieser Triumph von Darmstadt 98 und dem Aufstiegsschützen Elton da Costa. Denn niemals hatte ein Relegationsfinale so viele überraschende und spektakuläre Momente, wie dieses Match vom 19. Mai 2014 auf der Bielefelder Alm.
Darmstadts Held der Nacht steht vor dem morgigen zweiten Teil des Finals Ingolstadt gegen Nürnberg (Hinspiel 0:2) für das wohl unvergesslichste Mahnmal, wonach auch nach einer Hinspiel-Niederlage und nach mehreren Rückschlägen noch nichts verloren ist.
Elton da Costa, immer wenn diese Relegation aufs Neue ansteht, müssen wir an Ihren fulminanten Halbvolley aus 20 Metern hinein ins Aufstiegsglück denken. Warum glauben Sie, hält sich dieses – nennen wir es einmal – „Golden Goal“ noch so konkret in unserem Fußball-Gedächtnis, als hätten Sie es erst gestern erzielt?
Elton da Costa: „Die Dramaturgie dieses Endspiels ist kaum zu toppen. Ein paar Tage zuvor haben wir daheim 1:3 verloren. Die Köpfe in Darmstadt hingen herunter. Überall in der Stadt. Und auch bei uns.“
Doch dann gab Dirk Schuster, damals Trainer der Lilien, die Parole aus: „Schreibt uns erst ab, wenn wir mit leeren Händen unter der Dusche stehen.“
da Costa: „Ja. Und tatsächlich ist aus dieser Nichts-mehr-zu-verlieren-Stimmung unser freies Spiel entstanden. Wir führten 2:0, dann 3:1, ließen dann aber zig Chancen zum 4:1 liegen und so ging es in die Verlängerung. Dort kassierten wir zweite Gegentor und in vier von fünf solcher Fälle ist so ein Gegentor der Genickbruch.“
Doch dann kamen Sie, der „alte Brasilianer“, wie Sie gern genannt wurden, in Ihrem allerletzten Spiel für die Lilien zu einem Späteinsatz und so zu ihrem allerletzten Treffer für Darmstadt 98: In Ihrem orangefarben Trikot mit der Nr. 19 auf dem Rücken, in ihren leuchtend blauen Schuhen haben Sie dann genau jene fußballerische Waffe eingesetzt, für die Sie bekannt und gefürchtet waren. Wie war das damals?
da Costa: „Zehn Minuten waren in dieser Verlängerung ungefähr noch zu spielen. Als mich Dirk Schuster einwechselte, sagte er noch: ‚Komm Elton, hau noch einen rein. Mach Dich unsterblich in Darmstadt‘. Und dann habe ich mich reingeschmissen, geackert und gerackert, um diese eine letzte Chance noch irgendwie vor die Flinte zu bekommen.
Und als dann dieser Ball genau zu mir herausgeköpft wurde, habe ich mich quergelegt und mit meinem linken Sahnebein reingehämmert. Danach wurde es dunkel um mich und die Luft wurde verdammt knapp. Alle Spieler sind auf mich draufgesprungen. Wie ich später im Fernsehen sah: Sogar die Trainer.“
Und weil der Jubel über Ihren goldenen Schuss so lange dauerte, machte der Schiedsrichter immer noch nicht Schluss. So eilte Bielefelds Torwart Ortega auch noch nach vorne und traf per Kopf den Pfosten.
da Costa: „Hören Sie auf. In diesen Nachspiel-Nachspiel-Nachspiel-Minuten waren wir es nun wieder, die hätten alles verlieren können. Und so brauchten wir dann nochmals hinten Glück.“
In Ihrem 460. Match und mit Ihrem 97. Treffer als Fußballprofi in Deutschland wurden Sie zur Relegations-Legende. Warum war direkt Schluss danach?
da Costa: „Weil es so beschlossen war. Ich wollte diese Entscheidung nicht kippen, um vielleicht als Glücksbringer nochmals mit in die 2. Bundesliga gehen zu können. Ich empfinde es bis heute vielmehr als großes Glück, mit einem solch unvergesslichen Aufstiegsfinale ausgestiegen zu sein.
Zumal: Ich hatte klare Vorstellungen, wie es für mich weitergehen wird. Ich konnte eine Ausbildung zum Reha-Trainer antreten und bin dafür genauso dankbar wie für alles, was ich als Fußballprofi erleben durfte.“
Trainer und Spielerkollegen, die eine Zeitlang Ihren Weg kreuzten, berichten gern, wie sehr sie stets überrascht waren von Ihrer Zweikampfstärke, Ihrer Wucht, Ihrer Kopfballpräsenz und eben von dieser Schussgewalt. Sind dies nicht eher deutsche als brasilianische Fußball-Tugenden?
da Costa: „Ich komme aus Condor. Das liegt in diesem Winkel, wo Brasilien an Paraguay und Uruguay grenzt. Das hat klimatisch wenig mit Brasiliens Küsten zu tun. Und wo das Klima rauer ist, ist auch die Robustheit der Menschen größer.
Mit diesen Voraussetzungen hatte ich keine nennenswerten Anpassungsschwierigkeiten, als ich 1998 mit 18 Jahren beim FSV Frankfurt meinen ersten Vertrag bekam. Ich war zwar immer auch ein wenig mehr als andere für die Kunst zuständig. Doch in erster Linie war auch ich ein Arbeiter auf dem Spielfeld.“
Nach Ihrem Start am Bornheimer Hang waren Sie bereits schon einmal in Darmstadt aktiv. Danach in Haching, Augsburg, in Offenbach und – wir kennen das tolle Ende – wieder bei den Lilien. Sie lernten vor Dirk Schuster Fußball-Lehrer wie Wolfgang Frank, Jos Luhukay, Holger Fach, Wolfgang Wolf und Rainer Hörgl kennen. Heute sind Sie selbst als Trainer aktiv. Wohin soll die Reise gehen?
da Costa: „Aktuell steht meine Trainerlaufbahn auf drei Beinen: Als Spielertrainer beim FC 07 Bensheim, wie angesprochen bin ich als Sportlehrer in einem Darmstädter Reha-Zentrum aktiv und ich betreibe eine Fußball-Akademie, in der unser Ausbildungsmotto lautet: Brasilianischer Fußballzauber! Corona hat leider den Ausbildungs-Lehrgang für die A-Lizenz ausfallen lassen. Für diese Lizenz möchte ich mich jetzt dringend qualifizieren.“
Ingolstadt gegen Nürnberg heißt das aktuelle Relegationsfinale zwischen der zweiten und dritten Spielklasse. Viele Beobachter sind sich sicher, dass die Angelegenheit dank des 2:0-Vorsprungs für den Club ausgehen wird. Was glauben Sie?
da Costa: „Ich glaube an das, was ich erfahren habe: Auch hier ist überhaupt noch nichts fertig. Allerdings muss das passieren, was uns damals in Bielefeld gelungen ist: Ingolstadt muss in Führung gehen. Das kann auch hier noch die Wende gelingen, denn ich glaube an die Historie dieser Relegationen. Denn die zeigt uns allen: Darmstadt 98 und andere Teams aus der 3. Liga hatten stets mehrere Leben.“
Herr da Costa, vielen Dank für das Gespräch.
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