Holstein Kiel: Interview mit Hauke Wahl
„Spiele gegen Stuttgart sind ein Highlight“
Hauke Wahl, der Kapitän von Holstein Kiel, spricht im Interview mit Liga-Zwei.de über das Spiel gegen den VfB Stuttgart (Sonntag, 13:30 Uhr), aber auch über Geisterspiele, über Infektionsrisiken und über die kritische Haltung einiger Fußball-Fans.
Herr Wahl, nach dem unglücklichen 2:2 gegen Regensburg bezeichneten Sie das eigene Team als „mit die dämlichste Mannschaft der Liga“. Würden Sie diese Worte mit einigen Tagen Abstand noch immer wählen?
Hauke Wahl: „Die Aussage kam aus den Emotionen direkt nach dem Spiel. Aber wenn man sieht, wie viele Punkte wir in dieser Saison bereits verschenkt haben, kommt das in so einem Moment alles hoch und es platzt eben mal raus. Wir haben in vielen Partien spielerisch überzeugt, standen mit eineinhalb Füßen in der Siegertür und sind nicht durchgegangen.“
Nun steht das Top-Spiel gegen den VfB Stuttgart bevor. In der Hinrunde gewannen Sie mit 1:0. Wie muss Ihre Mannschaft auftreten, um den VfB erneut zu bezwingen?
Wahl: „Wie müssen konsequenter auftreten als gegen Regensburg. In dem Spiel haben wir nach dem 2:0 nicht das dritte Tor geschossen. Ansonsten hätten wir das Spiel mit hoher Wahrscheinlichkeit gewonnen. Gegen den VfB Stuttgart müssen wir in den Strafräumen konsequenter sein – vorne wie auch hinten. Dort werden die Spiele entschieden. In diesem Bereich haben wir Verbesserungsbedarf.“
Der VfB Stuttgart hat seit drei Spielen nicht mehr gewonnen. Sind Sie überrascht, dass die auf dem Papier wohl beste Mannschaft der 2. Bundesliga ihre spielerische Dominanz oftmals nicht in gute Ergebnisse ummünzen kann?
Wahl: „Die 2. Liga ist extrem eklig. Die Ergebnisse zeigen, dass jeder gegen jeden gewinnen kann. Spiele gegen den VfB Stuttgart sind für alle Mannschaften ein Highlight. Jeder gibt 100 Prozent oder sogar noch mehr. Auf dem Papier hat der VfB Stuttgart natürlich sehr viel Qualität. Aber auch die müssen in jedem Spiel 100 Prozent geben. Ansonsten reicht es nicht für den Sieg.“
Das Spiel gegen Stuttgart wird für Holstein Kiel das erste Heimspiel vor einer Geister-Kulisse sein. Haben Sie sich an die besonderen Umstände schon gewöhnt?
Wahl: „Es ist schon sehr komisch. Man weiß, dass es ein Punktspiel ist. Aber das ganze Drumherum entspricht nicht einem Zweitligaspiel. Das Auswärtsspiel in Regensburg hat aber gezeigt, dass wir damit schnell zurechtkamen. Jetzt müssen wir daran arbeiten, dass wir das über 90 Minuten hinbekommen.“
Spielt es überhaupt noch eine Rolle, ob man ein Heim- oder Auswärtsspiel hat?
Wahl: „Durch die Anreise macht das schon noch einen kleinen Unterschied. Aber ohne Fans ist das natürlich nicht mehr so relevant wie vorher.“
Funktionieren taktische Aspekte vielleicht sogar besser, weil man sich verbal verständigen und sogar die Anweisungen des Trainers verstehen kann?
Wahl: „Der Trainer hat jetzt auf jeden Fall mehr Gewicht. Er kann viel besser in das Spiel eingreifen. Das kann eine Partie beeinflussen.“
Sie hatten genauso wie alle anderen Mannschaften eine Spielpause von gut zwei Monaten. Spüren Sie dadurch noch gewisse Defizite?
Wahl: „Ja, schon. Die Spielunterbrechung lässt sich mit einer Sommerpause vergleichen, weil wir sehr lange kein Mannschaftstraining mehr hatten. Die Trainer haben sich für das Kleingruppentraining zwar viel einfallen lassen. Aber das ersetzt kein Fußballspiel. Auch die Belastung ist eine ganz andere.
Wir waren zum Beispiel zwei Wochen in Quarantäne und haben lediglich auf dem Spinning-Rad trainiert. Ein Fußballspiel lässt sich nicht simulieren. Ich habe mich nach dem Spiel in Regensburg noch etwas kaputter gefühlt als sonst.“
In der vergangenen Woche befanden sich alle Mannschaften in der Isolation. Jetzt sind alle Spieler der 1. und 2. Bundesliga wieder zu Hause. Befürchten Sie, dass es dadurch Infektionen und somit möglicherweise auch weitere Mannschafts-Quarantänen wie bei Dynamo Dresden geben wird?
Wahl: „Ich kann nur für unsere Mannschaft sprechen. Wir wurden für das Thema sehr sensibilisiert. Auch wenn die Hotel-Quarantäne vorbei ist, weiß jeder, dass man nicht draußen herumrennen oder in Restaurants gehen soll. Wir treffen uns privat mit niemandem. Ich bin auch nicht zum Friseur gegangen. Meine Freundin hat mir bereits zum zweiten Mal die Haare geschnitten. So lange wir Spieler nicht leichtsinnig werden, mache ich mir um den Spielbetrieb keine Sorgen.“
Die Spieler können vielleicht zu Hause bleiben. Aber viele Spieler haben Partnerinnen, die einem Beruf nachgehen, oder Kinder, die zur Schule oder in den Kindergarten gehen. Ist dadurch nicht doch ein Infektionsrisiko vorhanden?
Wahl: „Ja, aber ich denke, dass in der Gesellschaft allgemein auf Abstand und Mundschutz geachtet wird, um das Infektionsrisiko gering zu halten. Und auch die Partnerinnen und Frauen der Spieler haben momentan private Einschränkungen und treffen sich nicht mit Freundinnen.“
Noch einmal zurück zu dem Fall Dynamo Dresden: Holstein Kiel hat im Juni selber noch ein Spiel gegen Dynamo vor der Brust. Wie groß ist Ihrer Meinung nach der Nachteil, wenn man zwei Wochen nicht trainieren und spielen darf?
Wahl: „Da ich eine zweiwöchige Quarantäne kenne, weiß ich, dass man in dieser Zeit etwas an Substanz verliert. Ich kann also verstehen, dass Dynamo Dresden sich benachteiligt fühlt. Über alles Weitere muss die DFL entscheiden.“
Wie stehen Sie zu der Empfehlung, dass Spieler nach einem Tor nicht zusammen jubeln dürfen?
Wahl: „Das ist eine Vorgabe, die wir akzeptieren müssen. Wir Spieler sollten das gar nicht groß hinterfragen. Ich denke, wir haben uns gut daran gehalten. Ich persönlich bin nach den Toren in Regensburg gar nicht erst zum Jubeln nach vorne gelaufen. Ansonsten bin ich immer als einer der Ersten dabei.
Natürlich wäre es noch schwieriger, sich zurückzuhalten, wenn man in der 94 Minute den Siegtreffer erzielt. Aber ich denke, man jubelt ohnehin am intensivsten, wenn Fans im Stadion sind. Da dies leider nicht der Fall ist, pusht einen das Drumherum nicht so sehr.“
Apropos Fans: Die Spiele der 1. und 2. Bundesliga haben im Fernsehen zwar Rekordquoten erreicht. Allerdings wurde die Wiederaufnahme des Spielbetriebs von vielen Fußball-Fans auch kritisch betrachtet. Zwei Kieler Fangruppierungen haben angekündigt, den Verein in dieser Saison in keiner Weise mehr unterstützen zu wollen. Haben Sie Verständnis dafür?
Wahl: „Ich kann die Kritik nachvollziehen. Fußball hat mit Emotionen zu tun. Fans gehören dazu. Ich würde auch lieber in einem vollen Stadion spielen. Aber die Fans müssen auch verstehen, dass es viele Vereine ohne diese Geisterspiele gar nicht mehr geben würde.
Ich spiele daher lieber unter diesen Umständen, damit es meinen Arbeitgeber und auch viele andere Vereine in zwei Monaten noch gibt. Umso schöner wird es sein, wenn die Fans wieder ins Stadion dürfen und wir zusammen die Tore feiern.“
Vielen Dank für das Interview, Herr Wahl.