Holstein Kiel: Interview mit Benedikt Pichler
"Wir haben es verdient, da oben zu stehen“
Benedikt Pichler ist mit seinen sieben Toren der erfolgreichste Torschütze von Holstein Kiel. Im Interview mit Liga-Zwei.de spricht der 26-jährige Österreicher über die starke Saison seiner Mannschaft, das bevorstehende Auswärtsspiel bei Fortuna Düsseldorf (Sonntag, 13:30 Uhr), den Konkurrenzkampf im Sturm und seine Karriere.
Herr Pichler, wenn eine Mannschaft nach 15 Spieltagen auf dem 2. Tabellenplatz steht, kann das kein Zufall mehr sein. Ist Holstein Kiel nun ein Aufstiegsanwärter?
Puh. Also ich glaube, man kann sagen, dass wir es uns auf jeden Fall verdient haben, da oben zu stehen. Nach 15 Spieltagen hat das schon irgendwo eine Aussagekraft. Allerdings haben wir in der Saison oft genug gesehen, wie schnell sich das Blatt wenden kann, wenn man nicht bei 100 ist oder das Momentum nicht auf seiner Seite hat. Dann kann man ganz schnell Spiele verlieren. Aber gerade in den letzten Wochen zeigt unsere Leistungskurve nach oben. Um wirklich sagen zu können, dass wir mit Teams wie HSV und St. Pauli auf Augenhöhe sind, müssen wir das über einen längeren Zeitraum bestätigen.
Den Hamburger SV haben Sie aber erst kürzlich besiegt…
Ja, stimmt. Aber dafür haben wir gegen St. Pauli mit 1:5 verloren.
Der Kader wurde im Sommer sehr verändert. Viele Leistungsträger wie Kapitän Hauke Wahl oder Routinier Fin Bartels haben die Mannschaft verlassen. Wie ist es zu erklären, dass Kiel dennoch von Saisonstart an funktionierte?
Ich glaube, dass mit den Zugängen viel richtig gemacht wurde. Jeder einzelne Spieler, der geholt wurde, ist wirklich extrem hungrig. Es sind keine Spieler dabei, die Kiel als letzten Karriereschritt sehen und die Karriere langsam ausklingen lassen wollen. Gerade für die jungen Spieler ist es vielmehr eine geile Möglichkeit, sich zu entwickeln. Ich glaube, das ist der Schlüssel dafür gewesen, dass wir durch die vielen Abgänge und Zugänge keine Energie verloren haben. Vielmehr ist neue Energie dazugekommen, weil der Konkurrenzkampf neu entflammt ist.
Am Sonntag steht nun das Top-Spiel bei Fortuna Düsseldorf bevor. Wie schätzen Sie den Tabellen-Vierten der 2. Bundesliga ein?
Düsseldorf hat Jahr für Jahr immer gute Spieler in ihren Reihen. Man sieht, dass sie auch diese Saison ganz oben in der Tabelle eine gute Rolle spielen werden. Sie sind sehr heimstark in ihrem Stadion, daher haben wir natürlich auch Respekt vor Düsseldorf.
In einer aufsteigenden Form befindet sich Ihr Sturm-Partner Fiete Arp, der über eine lange Zeit nur Reservist war, nun aber in den letzten beiden Spielen getroffen hat. Wie nehmen Sie seine Entwicklung wahr?
Sehr positiv, weil ich als Sturmpartner natürlich davon profitiere. Wir beide sind Spieler, die über die Dynamik kommen. In den letzten Partien, in denen auch Fiete spielte, hat uns diese Dynamik ein Vorteil verschafft, weil wir einfach einen Tick unberechenbarer sind. Wir profitieren voneinander.
Mit Arp, Steven Skrzybski und Ihnen gibt es praktisch ein Überangebot an sehr guten Mittelstürmern – auch wenn Sie durchaus auf andere Positionen ausweichen können. Wie empfinden Sie den Konkurrenzkampf?
Der Konkurrenzkampf ist bei uns bereits seit Saisonbeginn groß, weil wir auf vielen Positionen sehr gut besetzt sind. Vor allem im Sturm haben wir sehr viele Spieler, die ihre Qualität bereits bewiesen haben. Und wenn man sich die letzten Spiele anguckt, in denen Steven, Fiete und ich zusammen auf dem Platz standen, sieht man, dass so ein Konkurrenzkampf auch für jeden profitabel sein kann. Das Zusammenspiel ist sehr harmonisch und die Laufwege sind gut einstudiert.
Zu den aufstrebenden Spielern dieser Saison zählt auch der 19-jährige Außenverteidiger Tom Rothe, der von Borussia Dortmund ausgeliehen wurde. War bei ihm bereits zum Saisonbeginn zu spüren, dass er der Mannschaft so sehr helfen würde?
Ja, auf jeden Fall – weil er einfach so jung und in dem Alter schon extrem reif ist. Man sieht einfach, dass er bei Borussia Dortmund eine gute Ausbildung bekam. Wie gesagt: Tom ist einer von denen, die jeden Tag besser werden wollen. Er war von Anfang an ein belebendes Element. Und dass er sehr viel Talent besitzt, ist natürlich ohnehin klar.
Kiel war über viele Jahre eine Handball-Stadt, ehe der Fußball in den vergangenen Jahren immer populärer wurde. Wie nehmen Sie den Konkurrenzkampf zwischen den beiden Sportarten innerhalb der Stadt wahr?
Ich kenne mich als Österreicher mit Handball nicht so gut aus. Aber natürlich kenne ich deren Arena. Wir haben auch kürzlich die Handballspieler des THW Kiel am Flughafen getroffen und sind gemeinsam mit ihnen geflogen. Die Jungs sind richtige Bären – zwei Meter groß und von der Statur her voll die Schränke. Mir war vorher gar nicht bewusst, was für Maschinen das sind. Und es ist schon ziemlich geil, dass so eine Weltklasse-Mannschaft hier in Kiel spielt. Und einen Konkurrenzkampf gibt es gar nicht, nur große gegenseitige Wertschätzung.
Sprechen wir noch einmal über Ihren Werdegang. Sie haben sich im Gegensatz zu vielen anderen Profis Schritt für Schritt hochgearbeitet. In Ihrer Heimat Österreich spielten Sie zunächst in der Regionalliga für den SV Grödig, dann in der 2. Liga für SK Austria Klagenfurt, ehe der Wechsel in die österreichische Bundesliga zu FK Austria Wien erfolgte. Wurden Sie erst spät entdeckt oder haben Sie sich erst spät entwickelt?
Das ist schwer zu beurteilen. Vom Gefühl sagt man natürlich immer, dass man es auch früher hätte schaffen können, wäre man entdeckt worden. Ich bin immer so ein bisschen unter dem Radar geflogen, weil ich nie in einer Akademie – hier in Deutschland sagt man NLZ – gewesen bin. Das hatte nicht nur sportliche Gründe. Ich wollte einfach weiter mit meinen Freunden spielen. Ich musste viel zusätzlich machen, um mit den Spielern von den Akademien mithalten zu können. Auf diesem Wege habe ich immer wieder kleine Schritte nach vorne gemacht. Im Nachhinein war es nicht der schlechteste Weg. Ich bin stolz darauf, dass ich es auch so geschafft habe.
Was war der Grund dafür, dass Sie dann im Sommer 2021 nach Kiel gewechselt sind?
Es war immer mein Ziel, in die österreichische Bundesliga zu kommen. Diesen Traum konnte ich mir bei Austria Wien erfüllen. Ich hatte dort zwei tolle Jahre. Aber als Österreicher ist ein Wechsel nach Deutschland meist das größte Ziel. Holstein Kiel war für mich der nächste Schritt, um in Deutschland Fuß zu fassen. Zumal diese Liga sehr attraktiv ist.