FC St. Pauli Teamcheck
Analyse & Prognose zur neuen Saison
Auch in der vergangenen Saison hat es der FC St. Pauli wieder nicht geschafft, zwei konstante Halbserien zu spielen. Nach der Hinrunde noch in Abstiegsgefahr schwebend, avancierten die Kiezkicker unter dem im Winter vom Co- zum Cheftrainer beförderten Fabian Hürzeler mit 41 Punkten aus 17 Partien zur mit Abstand besten Mannschaft der Rückserie, verpassten den Aufstieg in die Bundesliga aber dennoch.
Nichtsdestotrotz haben die ersten Monate im Jahr 2023 natürlich Erwartungen auch in Bezug auf das bevorstehende Spieljahr geweckt, vor dessen Beginn nicht wenige Beobachter St. Pauli als Aufstiegskandidaten auf dem Zettel haben. Unsere Einschätzung, ob tatsächlich der große Wurf möglich ist, legen wir am Ende unseres Teamchecks dar.
Kommen & Gehen
Zehn Spieler haben den FC St. Pauli im Sommer verlassen, wobei der nach einem für alle Seiten unbefriedigenden Jahr zum FC St. Gallen zurückgekehrte Betim Fazliji ebenso keine allzu große Lücke hinterlässt wie Luca Zander (SV Sandhausen), Dennis Smarsch (MSV Duisburg), Franz Roggow (Borussia Dortmund II), Jannes Wieckhoff (Heracles Almelo), Marcel Beifus (Karlsruher SC), Igor Matanovic (Eintracht Frankfurt) und Christopher Avevor (noch ohne neuen Verein), die aus unterschiedlichen Gründen mehr oder weniger weit von regelmäßigen Einsätzen entfernt waren.
Dagegen schmerzen die Abgänge von Leart Paqarada (1. FC Köln) und Lukas Daschner (VfL Bochum) enorm, zumal beide nach Vertragsende ablösefrei gehen. Mit Paqarada, der für viele Experten der beste Linksverteidiger der 2. Liga war, brechen drei Tore und nicht zuletzt dank gefährlicher Standards zehn Vorlagen weg. Der von Trainer Hürzeler häufig als falsche Neun eingesetzte Daschner kam 2022/23 auf neun Treffer und sieben Assists.
Für Paqarada wurde bisher kein neuer linker Verteidiger verpflichtet. Stattdessen darf sich dort Lars Ritzka beweisen, wobei der beidseitig einsetzbare Neuzugang Philipp Treu (SC Freiburg II) auch eine Option darstellt. Anstelle von Dascher kam mit Andreas Albers (Jahn Regensburg) ein klassischer Mittelstürmer. Zudem haben der luxemburgische Nationalspieler Danel Sinani (Norwich City) und Innenverteidiger Hauke Wahl (Holstein Kiel) definitiv das Potential zur Stammkraft – letzterer ist ebenso wie die Weiterverpflichtung des seit Winter ausgeliehenen Karol Mets (FC Zürich) wohl auch ein Vorgriff auf den noch möglichen Abgang von Jakov Medic, für den anders als vor einem Jahr aber aktuell das ganz große Interesse aus der Bundesliga (noch) nicht vorhanden scheint.
So lief die Vorbereitung
Am 19. Juni bat Trainer Hürzeler zum Start in die Vorbereitung auf die neue Saison, vor der der FC St. Pauli auf Testspiele gegen weit unterklassige Teams verzichtete. Stattdessen ging es direkt beim schottischen Zweitliga-Aufsteiger Dunfermline Athletic FC los und das mit einem 3:0-Sieg sehr erfolgreich. Gegen den VfB Oldenburg (6:0) und gegen den Randers FC (4:1) aus Dänemark gelangen weitere Siege, bevor im Trainingslager gegen den österreichischen Erstligisten Austria Lustenau (7:1) ein dickes Ausrufezeichen gesetzt wurde.
Am vergangenen Wochenende gewannen die Kiezkicker dann im Rahmen eines Doppeltests gegen den Sabah FK (4:1) aus Aserbaidschan und gegen Arminia Bielefeld (2:0) auch die Testspiele Nummer fünf und sechs, denen nun am Samstag noch die Generalprobe gegen Hapoel Tel Aviv folgt.
Stärken & Schwächen
Mit nur 14 Gegentoren stellte St. Pauli in der Rückrunde der vergangenen Saison die beste Defensive der Liga, deren Bilanz ohne den schwarzen Tag im Derby beim Hamburger SV (3:4) nochmals beeindruckender ausgefallen wäre. Die Stärke in der Rückwärtsbewegung, an der die gesamte Mannschaft beteiligt ist, soll auch 2023/24 erhalten bleiben. Zugleich verspricht die Integration von Andreas Albers als echtem Mittelstürmer mit Qualitäten im Kopfballspiel ein neues Element im Angriffsspiel, das so flexibler angelegt werden kann.
Hinter Albers verfügt St. Pauli über eine eingespielte und stark besetzte Achse im Zentrum, beginnend mit Nikola Vasilj im Tor über Eric Smith als Abwehrchef bis zu Jackson Irvine und Marcel Hartel im Mittelfeld. Auf der rechten Außenbahn hat sich zudem Manolis Saliakas bewährt, während für die offensiven Flügel mit Oladapo Afolayan, Elias Saad, Danel Sinani oder auch Etienne Amenyido mehrere hochkarätige Alternativen mit Entwicklungspotential vorhanden sind.
Alles in allem ergibt sich eine spannende Mischung, die allerdings auch auf eine nach der starken Rückrunde nicht geringe Erwartungshaltung trifft. Dieser gerecht zu werden, wird mutmaßlich nicht ganz einfach. Auch deshalb nicht, weil mit Paqarada ein Schlüsselspieler, der als spielstarker Antreiber und mit seinen Standards einige Partien mitentschieden hat, nicht mehr dabei ist.
Der Trainer
Obwohl im Februar erst 30 Jahre alt geworden, ist Fabian Hürzeler als Cheftrainer nicht unerfahren. Von 2016 bis 2020 zeichnete der frühere Jugendspieler des FC Bayern München für den FC Pipinsried verantwortlich und fungierte parallel dazu als Co-Trainer verschiedener U-Nationalmannschaften des DFB. Als Assistent von Timo Schultz kam Hürzeler im Sommer 2020 auch ans Millerntor und stieg nach Abschluss einer unbefriedigenden Hinserie im vergangenen Winter zum Chef auf.
Zunächst nur als Interimslösung gedacht beeindruckte Hürzeler die Verantwortlichen um Sportchef Andreas Bornemann mit seiner Trainingsarbeit so sehr, dass die Suche nach einem externen Schultz-Nachfolger eingestellt wurde. Zehn Siege in Folge zum Rückrundenstart waren die Bestätigung dafür, dass diese Entscheidung goldrichtig war. Und auch wenn St. Pauli am Ende dann doch noch ein paar Federn ließ, ist das Vertrauen in eine nachhaltige Positiventwicklung unter Hürzeler groß.
Der potentielle Shooting-Star
In der Winterpause kam Elias Saad von Eintracht Norderstedt zum FC St. Pauli und verbuchte in seiner ersten Rückrunde als Profi zwei Treffer und eine Vorlage. Nach einigen Wochen Anpassungszeit gelang dem 23-Jährigen bei seinem zweiten Kurzeinsatz just im Derby beim HSV das Premierentor, nach dem der Offensivmann bis zum Saisonende immer als Linksaußen in der Startelf stand. Trotz gewachsener Konkurrenz ist dem gebürtigen Hamburger zuzutrauen, in der neuen Saison auf ähnlichem Niveau weiterzumachen und damit auch längerfristig zu einer wichtigen Figur aufzusteigen.
Die mögliche Startelf
Vasilj – Medić, Smith, Mets – Saliakas, Irvine, Hartel, Treu – Afolayan, Albers, Saad
Fazit & Prognose
Der FC St. Pauli ist fraglos gut aufgestellt, unserer Einschätzung nach aber nicht ganz auf dem Level der Aufstiegsfavoriten aus der Nachbarschaft und aus Gelsenkirchen. Zudem sehen wir eine Handvoll weiterer Klubs auf ähnlichem Niveau und mit ähnlichen Chancen auf eine Platzierung im vorderen Bereich der Tabelle. Kleinigkeiten werden letztlich entscheiden, ob und gegebenenfalls wie lange St. Pauli um den Aufstieg mitspielen kann. Gelingt es, Paqarada vor allem auch als Standardschütze zu ersetzen und an die defensive Stabilität der Rückrunde anzuknüpfen, ist Platz drei drin.