Osnabrück vs Nürnberg: Claaßen setzt wieder auf Nachspielzeit
Letzter Sieg über den FCN war Andi Köpkes Karriereende
Andreas Köpke war beim 1.FC Nürnberg damals auf Abschiedstour. Mit über 600 Ligaspielen als Profi und über 60 Länderspielen im Tor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft standen nun noch ein halbes Dutzend Auftritte in der 2. Bundesliga an. So stand es im finalen Karriereplan des damals 39 Jahre alten gebürtigen Kielers, der bei der KSV Holstein ausgebildet worden ist.
Doch dann, im Frühjahr des Fußball-Jahres 2001, fand dieses Montagabend-Match an der Bremer Brücke beim VfL Osnabrück statt. Genau das gleiche Duell wie an diesem Montag. Doch damals hat der VfL Osnabrück mit Haut und Haaren um den Ligaerhalt gekämpft. Der Club war Tabellenerster und hatte alle Trümpfe in der Hand, wieder aufzurücken ins Fußball-Oberhaus. Ganz anders ist die Lage für beide heute.
So war das Stadion, das damals noch den Namen des legendären Mäzens und Klubchefs Hartwig Piepenbrock trug, pickepacke ausverkauft. Im violetten Meer der Fahnen, Schals und Mützen machten die Fans auf allen vier Tribünen Alarm und die Flutlichtanlage lieferte ihr gefürchtetes Schummerlicht.
Schwerstarbeit für die Augen des Andreas Köpke. Bis zur 39. Spielminute: Als die Osnabrücker Angreifer Christian Claaßen und Daniel Thioune inmitten zahlreicher Irrungen und Wirrungen einen Flugball verwerten wollten, ist Köpke mit der Hand dazwischen gegangen.
Im Schummerlicht verlor Köpke die Orientierung
Das Dilemma: Köpke hatte die Orientierung verloren, sich beim Herauslaufen verschätzt und seinen Reflex außerhalb des Strafraums eingesetzt. Mike Pickel, der Schiedsrichter, musste Köpkes verbotenen Handgriff mit der Höchststrafe ahnden. Also Rot für Köpke. Ausgerechnet Köpke. Ausgerechnet jetzt.
Was in diesem Moment noch niemand abschätzen konnte, wurde alsbald zur Realität: Für Köpke war dieses Rot das vorzeitige Karriere-Ende. Mit Darius Kampa, dem Köpke-Nachfolger, holte der Club danach die entscheidenden Aufstiegspunkte und so blieb der Torwart-Ikone der 1990ziger Jahre nur noch ein letztes Tschüss und Servus daheim am letzten Spieltag. Der Aufstieg steckte bereits in trockenen Tüchern.
Während Köpke die tragische Figur des Spiels verkörpern musste, lieferte der VfL den Helden des Abends: Christian Claaßen. Der war mit viel Spielintelligenz unterwegs, war groß, schnell, primär linksbeinig aktiv und auch hinten ein fleißiger Mitarbeiter. Alles dies hat Claaßen an diesem Abend gegen den 1. FC Nürnberg wirkungsvoll auf das Spielfeld bringen können. Mit einem satten Flachschuss ins lange Eck, einer seiner Spezialitäten, hatte er Köpke schon frühzeitig zur Osnabrücker Führung bezwungen.
Und als die von Klaus Augenthaler trainierten Nürnberger bereits das sichere Gefühl ereilte, einen glücklich erzielten Punkt mit in den restlichen Aufstiegskampf transportieren zu können, hat Christian Claaßen in der Nachspielzeit einen Eckball mit dem Kopf zum 2:1-Sieg verwertet und so die Piepenbrock-Arena zum Überkochen gebracht. Auch Wolfgang Schütte war noch in die Flugbahn gehechtet und hatte Köpke-Nachfolger Kampa irritiert.
Bevor Claaßen in Osnabrück zum verlässlichsten Torschützen aufrücken konnte, hatte ihn Benno Möhlmann beim großen Hamburger SV ein halbes Dutzend Einsätze in der Bundesliga ermöglicht. „Möhlmann war für mich ein großartiger Trainertypus. Mit seiner Hilfe wäre die Bundesliga vielleicht auf Dauer möglich gewesen“, rekonstruiert Claaßen mit Bedauern.
Doch kurz darauf übernahm Felix Magath und der erhoffte Durchbruch beim HSV war bereits Geschichte. Im Gespräch mit Liga-Zwei.de macht Christian Claaßen deutlich, dass die rauschende Fußballnacht von damals wenige Wochen später überschattet worden ist wird vom Abstieg aus der 2. Bundesliga.
„Es gab vier Absteiger damals. So mussten wir als Tabellenfünfzehnter mit 37 Punkten wieder runter“, bemerkt Claaßen und verdrückt dabei einen Kloß im Hals. Jahrelang hatten die Osnabrücker um diese 2. Bundesliga gekämpft. Waren dann in diesem legendären Elfmeter-Marathon in der Relegation über den 1. FC Union Berlin endlich aufgestiegen. Doch nun wurde aus dem VfL wieder ein Fahrstuhl-Verein in jener Zeit.
Heute sieht das alles aus der Sicht von Christian Claaßen ganz anders aus. Zwar ist er nicht mehr unmittelbar im Fußball aktiv. Doch er erscheint immer noch genauso drahtig, fit und asketisch wie in besten Fußballtagen.
So hält er durchaus Nahdistanz zum aktuellen Treiben. Als Finanzdienstleister und Spezialist in Versicherungsfragen einerseits und als Freund seiner ehemaligen VfL-Kollegen, die heute weiter im Profifußball aktiv sind.
Rosen, Thioune, Enochs, Weiland & Ukrow in neuen Funktionen
Allein im Team, dass den Club wie beschrieben 2:1 besiegen konnte, ist eine geballte Ladung Fußball-Kompetenz entstanden: Alexander Rosen war dabei und ist heute Sportdirektor bei TSG Hoffenheim. Über Daniel Thioune wird in der 2. Bundesliga viel gesprochen. Joe Enochs trainiert den FSV Zwickau, Dennis Weiland ist in der Fußball-Lehrer-Ausbildung des DFB aktiv und Alexander Ukrow leitet das NLZ des VfL Osnabrück. Nun, und Ansgar Brinkmann ist eine stets lebendige Fußball-Geschichte für sich.
Das bevorstehende Kräftemessen mit dem Club bezeichnet Christian Claaßen als „Fifty-Fifty-Match“, wo abermals das Spielglück ausschlagend sein werde. „Deshalb habe ich überhaupt nichts dagegen, wenn der VfL auch diesmal in der Nachspielzeit die drei Punkte erzwingen kann“, erklärt er hoffnungsvoll.
Wer wie Claaßen in 193 Einsätzen 65 Treffer für den VfL erzielen konnte, dem werden die aktuellen VfL-Profis an dieser Stelle gern frische Aufmerksamkeit schenken. Wenn Claaßen recht behält, wäre dies der erste Dreier über den 1.FC Nürnberg seit jener Nacht an der Bremer Brücke, in der die Karriere des Andreas Köpke vorzeitig endete.