Chapeau, Paul Seguin

Die besondere Leistung des 7. Spieltags

Autor: Luis Hagen Veröffentlicht: Dienstag, 10.11.2020 | 11:00
Paul Seguin bei Greuther Fürth

Mittelfeldmann mit viel Schneid: Paul Seguin. ©Imago images/foto2press

Die Kameras des NDR-Sportclubs waren einmal bei den Seguins daheim in Stendal im Einsatz. Am Tisch sitzen ein Übervater, der alles erreicht hatte, was im Fußball der DDR zu erreichen war, drei ältere Brüder und eine starke Mutter. 

Paul Seguin war 21 Jahre alt damals. Gerade war ihm in unruhigen Wolfsburger Fußball-Zeiten der Sprung ins Bundesliga-Team des VfL Wolfsburg gelungen. Innerhalb weniger Monate folgte auf Hecking und Ismael mit Jonker soeben Trainer Nummer drei.

Dennoch schien Seguin in die Fußstapfen von Maximilian Arnold treten zu können. Wie Arnold stammt Seguin aus den neuen Bundesländern. Beide wurden beim VfL Wolfsburg im Dreisterne-Niveau ausgebildet und haben als Junioren-Spieler gemeinsam den deutschen U19-Meistertitel gewonnen. 

Doch Arnold konnte sich im Handumdrehen in der Bundesliga etablieren. Seguin indes wurde zunächst in die Regionalliga geschickt. In diesen weiten Umweg über das eigene U23-Team. 

Erst Schnee schippen, dann Fußball spielen

Doch jetzt waren die Reporter des NDR bei diesem Hausbesuch guter Hoffnung, in diesem Moment einen weiteren neuen Fußball-Stern der Bundesliga porträtiert zu haben. Mindestens ein dauerhafter Stammplatz beim VfL und somit im Fußball-Oberhaus schien realistisch.

Und bei Kaffee und selbstgebackenem Kuchen hat einer der Brüder, der von Beruf Lehrer ist, berichtet, wie Nesthäkchen Paul einst im Garten stundenlang Schnee schippte, um auch über Weihnachten kicken zu können. 

Allein ist er dann mit dem Ball aktiv gewesen. Er brauchte niemanden. Er wusste immer, was er üben wollte. „Paul hatte als Kind einen großen Ehrgeiz“, bemerkt ein weiterer Nachkomme der Seguins. Irgendjemand fügt sogleich hinzu, dass er den wohl vom Vater hätte. 

Zwischen Europacup-Siegtor und Sparwasser-Triumph 

Ja, dieser Vater: Mit 380 Einsätzen ist er Rekordspieler des 1.FC Magdeburg im Fußball-Oberhaus der DDR. 1974 war er Siegtorschütze, als er im Team von Heinz Krügel den Europacup der Pokalsieger gewinnen konnte. Er half 1974 mit, den Sparwasser-Triumph im deutsch-deutschen WM-Duell mit nach Hause zu bringen. Bereits 1972 gab es Olympia-Bronze. Bei alledem wurde er „Paule“ gerufen, obwohl er Wolfgang heißt.

Der dritte seiner Brüder stellt amüsiert klar, dass er bei der Nennung seines Namens immer seltener gefragt wird, ob er mit der Legende des 1.FC Magdeburg verwandt sei. Stattdessen würden diese Leute immer häufiger den Namen Seguin mit dem jungen Profi des VfL Wolfsburg in Verbindung bringen wollen.

Mutter Seguin über harte Schule ihres Jüngsten
„ Ein Weichei ist aus Paul nicht geworden ”

Und wir erfahren, dass die Mutter des Hauses glaubt, dass ihr Jüngster in dieser Familienstruktur einige Jahre lang durch eine harte Schule gegangen sei. „Ein Weichei ist aus Paul nicht geworden und das ist gut für sein Leben im Profifußball.“ Frau Seguin meint diesen allwissenden Fußballpraktiker als Vater, die drei älteren Brüder sowie den Ausbildungsspagat zwischen Schule in Stendal und Fußball in Wolfsburg. 

Als Paul Seguin nach dem jüngsten 2:0-Sieg der SpVgg Greuther Fürth beim VfL Bochum nun von einem Reporter des ARD-Hörfunks gefragt wird, ob er denn mit diesem vierten Treffer im siebten Spiel in dieser Spielzeit auf dem Weg sei, ein Torjäger zu werden, wird aufs Neue deutlich, welch eine verschworene Gemeinschaft die Seguins verkörpern. Egal, ob damals, gestern oder heute.

Paul Seguin jubelt für Greuther Fürth

Der „Torinstinkt“ sorgt bei Paul Seguin für Jubel. ©Imago images/foto2press

Denn Paul Seguin verknüpft seine Antwort auch diesmal mit einem alten Familienthema. Ohne es zu sehen, spürt der Zuhörer sein Augenzwinkern in dieser Bemerkung: „Endlich ist mein Torinstinkt wieder da. Mein Vater hat mich ja immer kritisiert, dass ich wieder Tore schießen muss.“  

Die Kritik des Vaters gehört zu dieser harten Schule daheim, die Mutter Seguin am Kaffeetisch ansprach und so umschrieben hat: „Wenn der Vater draußen Alarm machte, hat Paul immer die Augen verdreht.“ Doch der wollte – na klar – immer nur helfen. Das ist das schwere Los des Sohnes, eine Koryphäe zum Vater zu haben.

Meistertrainer Kunert über Meisterspieler Seguin
„ Paul spielte schon als Junior sehr clever ”

Der Fußball-Lehrer Dirk Kunert hat Paul Seguin beim VfL Wolfsburg in zwei der insgesamt sieben Ausbildungsjahre trainiert. Jetzt ist Kunert beim FC Carl-Zeiß Jena als Trainer aktiv, also dort, wo die Menschen ebenfalls auf viel Tradition des früheren Fußball-Ostens stolz sind. 

„Paul spielte schon als Junior sehr clever. Hat seinen Körper geschickt eingesetzt. War so schon damals ein erfolgreicher Zweikämpfer in den Positionen Sechs oder Acht – also genau wie jetzt in Fürth“, berichtet Kunert. Es ist eine Zusammenarbeit, die den einen zum Meistertrainer und den anderen zum Meisterspieler machte.

Neben Arnold war für ein zweites Eigengewächs kein Platz mehr

Warum die Akte Paul Seguin in der VW-Stadt nach 26 Bundesliga-Einsätzen mit der Ausleihe zu Dynamo Dresden im Jahre 2017 geschlossen worden ist, kann sich Dirk Kunert nur so erklären: „Mit „Arni“ Arnold hatte der VfL bereits sein Vorzeigetalent aus den eigenen Reihen verankert. Für ein zweites Eigengewächs war im Mittelfeld einfach kein Platz mehr.“

Mit der Zeit bei Dynamo Dresden begann die 2. Bundesliga für Seguin keineswegs mit einer Erfolgsstory. Als rechter Verteidiger war er ein Opfer seiner eigenen Vielseitigkeit. Ja, auch diesen Job kann er. Doch er kann ihn nicht glücklich machen, weil er seine wahren Stärken dort nicht optimal auf das Spielfeld befördert.

Dirk Kunert über Seguins besondere Fähigkeiten
„ Paul weiß auch, wann ein Spiel mal Ruhe braucht ”

Im Gespräch mit Liga-Zwei.de klärt Dirk Kunert die Sachlage so auf: „Paul ist ein Spieler, der Aktionen des Gegners schnell erkennt und mit seinem eigenen technischen Rüstzeug und mit seiner Übersicht sofort selbst das Kommando übernehmen kann. Und Paul weiß auch, wann ein Spiel mal Ruhe braucht. Also einfache Pässe Sicherheit bringen. Doch dafür muss er im Mittelfeld spielen.“

Seit Januar 2019 ist Paul Seguin am Fürther Ronhof aktiv. Zunächst ein halbes Jahr wieder nur als Leasing-Kicker. Doch dann sind die sparsamen Fürther über ihren Schatten gesprungen und haben Seguin im Sommer 2019 dem VfL Wolfsburg abgekauft. Bei transfermarkt.de ist der Vorgang mit einer Entschädigung in Höhe von 300.000 Euro beziffert. 

Gut für die Fürther. Gut für Paul Seguin.

Demut auch im Erfolgsfall

Denn jetzt sorgen die Arbeitsnachweise in der 2. Bundesliga für Furore: Seguin überzeugt mit einem in Mittelstürmer-Position erzielten Führungstreffer sowie mit einem Zauberpass-Assist im Stile eines Spielmachers zum zweiten Fürther Tor durch Sebastian Ernst. Und obendrein überrascht das ganze Team mit dem dritten Dreier hintereinander sowie mit dem Erhalt eines Platzes im Verfolgerfeld des Hamburger SV.

Ob da womöglich noch mehr gehe für Paul Seguin und seine Fürther, fragte der Hörfunk-Reporter der ARD nun sogleich weiter. Vor acht Jahren konnten sich die Kicker mit dem Kleeblatt auf dem Trikot einmal für die Erstklassigkeit des hiesigen Fußballs empfehlen. Doch nach nur einer Spielzeit mussten sie wieder zurück. 

Seguin ist bereit, einzuräumen, dass die Mannschaft fußballerisch große Fähigkeiten habe. Dass die Fürther Innenverteidigung mit mutigem Offensiv-Passspiel brillieren würde und dass er mit seinen Mitstreitern des Mittelfeldspiels großartig harmoniere. Doch dann weigert er sich konsequent, neue Erwartungen zu wecken: Wir sind ein kleiner Verein. Ich bin ich dafür, den Ball weiterhin absolut flach zu halten“, entgegnet Seguin. 

Sein Trainer, Stefan Leitl, ist ein kluger Trainer in Fürth. Er hat Paul Seguin zugehört, ihn ernstgenommen und dort platziert, wo er sich austoben und endlich wieder torgefährlich sein kann. 

Bei Stefan Leitl um die optimale Position gekämpft

Auf siegreichem Aktionsfeld in Bochum erzählt Paul Seguin, wie alles begonnen hat mit ihm und dem Trainer. „Als Stefan Leitl nach Fürth kam, hat er mich zunächst auch gleich wieder auf die rechte Verteidigerposition gepackt. Da habe ich reklamiert und gesagt: Ich bin nach Fürth gekommen, um persönlich einen richtigen Neuanfang zu machen. Entweder spiele ich endlich wieder in der Mittelfeld-Mitte oder ich höre auf mit Fußball. Ich weiß, dass ich im Mittelfeld ein guter Spieler bin. Denn hier weiß ich, was ich tun muss.“

Wie es seine Art ist, hat Seguin geschmunzelt, als er von dieser Episode berichtet hat. Denn er hat sich einfach diebisch gefreut über sein viertes Tor im siebten Match. Das sind schließlich Ereignisse, die auch die Seguins daheim in Stendal ganz schön stolz machen.

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