Chapeau, Mersad Selimbegovic

Die besondere Leistung des 5. Spieltags

Autor: Luis Hagen Veröffentlicht: Montag, 26.10.2020 | 10:58
Mersad Selimbegovic von Jahn Regensburg

Mersad Selimbegovic verkörpert die Jahn-Philosophie seit 14 Jahren. ©Imago images/Zink

Die Architektur seines Fußballspiels ist nicht jedermanns Geschmack. Sie gehört nicht zu den Schmuckstücken der Liga. Und auch ein Echo der Anerkennung aus den Lagern mattgesetzter Konkurrenz erfolgt naturgemäß eher selten.

Doch mit überzeugenden Heimspiel-Siegen, wie aktuell dieses 3:0 gegen Eintracht Braunschweig und zuvor gegen den KSC sowie mit drei Remis bei Fortuna Düsseldorf und Darmstadt 98 sowie daheim gegen den 1.FC Nürnberg, haben die Kicker von Jahn Regensburg in der 2. Bundesliga die gute Arbeit der vorigen Spielzeit sogleich fortsetzen können.

Denn mit elf Siegen und zehn Unentschieden, mit 43 Punkten und dem zwölften Tabellenplatz endete bereits die Premieren-Saison des Mersad Selimbegovic als Cheftrainer und Nachfolger von Achim Beierlorzer beim Jahn mit einer großartigen Ausbeute.

In Gesprächen mit dem regionalen TV-Sender „Fernsehen für Ostbayern“ lässt Selimbegovic keine Zweifel daran aufkommen, wie gut er auch als Realisierungs-Bevollmächtigter für die Leistungsfähigkeit der Mannschaft in der 2. Bundesliga zum Jahn passt. Mit drei seiner Statements dort lernen wir ihn ein wenig besser kennen.

Denn er sagt: „Auch wenn es bei uns mal längere Zeit nicht läuft, werden wir wie immer Ruhe bewahren.“ Gemeint ist: Beim Jahn ist niemand naiv. Eine Ergebnis-Krise kommt immer und überall. Somit würden darauf auch künftig alle gut vorbereitet sein.

Zu Grundregeln seiner Arbeit
„ Entscheidend ist, dass wir so auftreten, um unser Spiel zu spielen ”
Mersad Selimbegovic

Er sagt weiter: „In der 2. Bundesliga findet Vieles auf des Messers Schneide statt.“ Bedeutet: Es sind immer nur Details, nur Millimeter oder Zehntelsekunden, die zwischen Sieg und Niederlage liegen.

Und dann beschreibt er das, was seine Mannschaft in der 2. Bundesliga so erfolgreich macht: „Entscheidend ist, dass wir so auftreten, um unser Spiel zu spielen.“ Soll heißen: Wenn wir so spielen, wie es unsere Gegner nicht mögen, können wir überall punkten.

Die Schachzüge, mit denen Selimbegovic so geschickt zu jonglieren vermag, bestehen aus verschiedenen Manövern und haben primär das Ziel, eigene Fehler zu minimieren. Denn Selimbegovic sagt im Regionalfernsehen Ostbayerns auch noch dies: „Wer einen gravierenden Fehler macht, tut dem Gegner einen riesigen Gefallen. Also müssen wir selbst Fehler vermeiden, doch sie beim Gegner herausfordern.“

Deshalb gilt bei Ballbesitz des Gegners: Pressen, pressen und nochmals pressen. Um mit großer Lauf- und Einsatzbereitschaft dem Gegner keine Chancen zu geben, sein eigenes Spiel mit sicheren Pässen und Kombinationen zu gestalten.

Bei eigenem Ballbesitz indes sollen Flugbälle auf die Zielspieler vorn im Zentrum den gegnerischen Abwehrverbund unter Druck setzen, um danach sofort zur höchst aggressiven Jagd auf die abgewehrten Bälle anzurennen.

Über den Selimbegovic-Style
„ Extreme Flugball-Praktik limitiert das eigene Risiko ”
Benno Möhlmann

Der Fußball-Lehrer Benno Möhlmann war in über 900 Profispielen als Trainer im Einsatz. Mit 520 Spielen ist er der Rekordtrainer in der 2. Bundesliga und bei der SpVgg Greuther Fürth hat er diese Marschroute auch einmal erarbeitet.

Jetzt erklärt er für Liga-Zwei.de die Vorzüge des Selimbegovic-Style: „Der größte Vorteil der extremen Flugball-Praktik besteht daran, dass Jahn Regensburg im Aufbauspiel viel weniger Abspielfehler unterlaufen und so dem Gegner kaum einmal einen Konter ermöglicht. Hier liefert Selimbegovic das Kontrast-Programm zum aktuellen Trend, der das Kombinationsspiel mit vielen kurzen Pässen im Sinn hat. Wer sich für diesen Weg des Offensivspiels entscheidet, limitiert das eigene Risiko.“

Andreas Albers von Jahn Regensburg

Andreas Albers ist Ziel-Spieler im Selimbegovic-System. ©Imago images/Eibner

Arie van Lent galt damals für Möhlmann als geeigneter Gardemaßspieler für diese Flut an Flugbällen. Bei Jahn Regensburg können drei Offensivkräfte mit bald zwei Meter Körperlänge diesen Job übernehmen: Zu Andreas Albers, Regensburgs Danish-Dynamite mit 1,93 Metern, sind aus der Regionalliga zwei weitere Hünen hinzugekommen: Kaan Caliskaner mit 1,92 Metern aus der Ausbildung des 1.FC Köln gekommen sowie der gar 1,97 Meter lange André Becker vom FC-Astoria Walldorf. Beide sind bereits auf gutem Wege, beim Jahn Wurzeln zu schlagen.

Seit nunmehr 14 Jahren gehört Selimbegovic zwar inzwischen zum Inventar des Fußballs in der Dom-Stadt, doch sein Gesicht blieb bis zu dieser Beförderung vor bald anderthalb Jahren genauso unerkannt wie die einzelne Stimme eines Chorsängers der Regensburger Domspatzen, dem wohl lebendigsten Kulturgut in der Oberpfalz.

Selimbegovic war zunächst sechs Jahre lang zwar verlässlich, doch meist recht unspektakulär als Innenverteidiger beim Jahn aktiv. Dann war er als Trainer der Junioren in der Talente-Entwicklung des Regensburger Fußballs tätig und erst danach war er aufgerückt zu Achim Beierlorzer in die 2. Bundesliga. Doch stets allein als stiller Zuarbeiter im Hintergrund.

Wie Jahns Vordenker Keller mit No-Name-Personal überrascht

Seit sieben Jahren agiert Christian Keller in der Geschäftsführung des Vereins und hier mit einer Allround-Verantwortlichkeit, wie er sie im Profifußball dieser Leistungskategorie wohl exklusiv verkörpert. Der promovierte Sport- und Finanz-Fachwirt ist dort Macher, Drahtzieher und Vordenker in Personalunion. Und so ist er auch Urheber der Idee, Selimbegovic zum Cheftrainer zu ernennen und ihm das so hart erarbeitete sportliche Gut des Vereins vertrauensvoll in die Hände zu legen.

Was in vielen anderen Aktionsfeldern dieser Spielklasse als zu hohes Risiko bewertet und höchstwahrscheinlich verworfen worden wäre, ist für Keller – Pardon, Dr. Keller – eine weitere jener Herausforderungen gewesen, für die er bekannt ist. Als Visionär einerseits und Sparminister andererseits gelingt es ihm Jahr für Jahr verlässlich, mit No-Name-Personal des Fußballs zu überraschen.

Keller machte aus Jahn Regensburg ein Projekt der Unterschätzten, der Unterbewerteten und der Abgewiesenen. Und er hat Erfolg damit. Nicht allein mit dem mutigen Vertrauensbeweis gegenüber Mersad Selimbegovic. Auch mit zahlreichen Spielern aus den Schnäppchen-Abteilungen, die im Fußball die Spielklassen der Kategorie drei und vier darstellen.

Und Selimbegovic schreibt niemanden ab. Auch Oliver Hein nicht, einst noch Teamkollege des Trainers. Obwohl Hein mehr als zwei Spielzeiten lang mit schwerwiegenden Verletzungen an Kniescheibe und Schulter mehr Zeit in Kliniken verbringen musste als im Übungsgelände des Jahn, ist er jetzt plötzlich wieder da. Als feste Größe an der rechten Flanke. Das sind fünf Auftritte, fünf Comebacks mit Bestnote, doch ohne eine Niederlage.

The Local Hero is back. In vielerlei Hinsicht also gilt dank Mersad Selimbegovic: Alle Achtung, Jahn Regensburg.

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