Chapeau, John Guidetti
Die besondere Leistung des 30. Spieltags
Dieter Schatzschneider, Hannovers legendenträchtiger Torjäger mit generationsübergreifender Idol-Kraft, ist eigentlich keiner von denen, die immer gleich alles gut finden, was kostspielig ist und gleichermaßen sofort als besonders auserlesen und wertvoll erscheint im Lager seiner 96er.
Als Fachmann mit der besonderen Nähe zum mit nimmermüdem Einsatz Verantwortung übernehmenden Fußball-Patrons Martin Kind liegt Schatzschneider eine kritische Bewertungsdistanz seit jeher näher als das branchenübliche Verteilen von Vorschusslorbeeren.
Selbst 96-Idol Schatzschneider ist beeindruckt
Doch bei John Guidetti, diesem neuen Angreifer des Typus „Mr. Dynamite“ im Angriffszentrum der 96er, hat sich Schatzschneiders kritische Haltung gegenüber dem aktuellen Spielfeld-Personal erstmals seit langer Zeit in einen ungewöhnlich stabilen Zuspruch verwandelt. Als John Guidetti nach rund 70 Minuten total ausgepumpt den Rasen verließ, wäre ihm gewiss ein tosender Applaus des Publikums sicher gewesen, wenn die Tribünen hätten gefüllt sein dürfen.
Ein famoser, ein hochintensiver Auftritt mit einer großartigen Torassistenz beim Triumph über den Robust-Fußball des 1. FC Heidenheim ging zwar auf dem Spielfeld vorzeitig zu Ende, doch er setzte sich fort in einem verbalen und emotionalen Support, der Dieter Schatzschneider derart beeindruckte, dass er im Gespräch mit Liga-Zwei.de seine Begeisterung darüber immer noch nicht zurückhalten mochte.
„Der John Guidetti“, sprudelt es aus „Schatz“, wie der einstige Toremacher in Hannovers Fußballwelt immer noch gerufen wird, „hat nur schnell sein nasses Trikot gegen eine Trainingsjacke ausgetauscht, dann hat er sich umgedreht und an der Rampe weiter jede Menge Power gezeigt. Hat sofort jede Spielsituation seiner Kollegen unüberhörbar miterlebt, hat geschrien, hat angefeuert, hat mitgekämpft. Dieser Charakter ist großartig. Hier beweist uns endlich einmal einer unserer Spieler, dass es ihm nicht egal ist, wie es ohne ihn läuft. Solche Spieler sind selten. Leider verdammt selten.“
Dass er zugibt, dass Guidetti, der 28 Jahre alt ist, somit auch das komplette Gegenteil von ihm selbst verkörpern würde, ehrt ihn, den Schatzschneider.
Doch Hannover 96 hat nun so einen Musterprofi. Einen, der überzeugend voranmarschiert. Einen Fighter und Beißer. Diesen ganz speziellen Typus mit dem Charisma eines Mitreißers. „Guidettis Mentalität ist so allgegenwärtig, so inspirierend und antreibend, dass ich überzeugt bin, dass seine positive Präsenz auf dem Spielfeld und in der Kabine unsere gute Entwicklung forciert hat“, erklärt Dieter Schatzschneider weiter.
John Guidetti wirke bodenständig, identifikationssicher und glaubwürdig, meint Schatzschneider. Die Tatsache, dass Ehefrau und zwei Kinder mit nach Hannover gekommen sind, obwohl sein Engagement mit 96 zunächst nur ein Leasingprojekt bis zum Saisonende ist, unterstreicht diese Einschätzung. Erstaunlich, denn Guidetti gilt ja eher als Paradiesvogel und Kosmopolit in Sachen Fußball.
Wir schauen genauer hin: Der Name Guidetti klingt italienisch, doch er ist geboren, aufgewachsen und auch als Fußballer ausgebildet worden in Stockholm. Eine Zeitlang, vor rund zehn Jahren, geschah dies auch an der Seite von Miiko Albornoz, der nun in Hannover – ja, so klein ist die Fußballwelt – wieder sein Teamkollege ist.
Wanderschaft durch die Welt des Fußballs
Guidetti war auffällig mit seinem Kampfgeist, seinem Feuer und Elan. Er rückte auf in die Auswahlteams Schwedens, spielte mit bei mehreren großen Juniorenturnieren. Und nun ging sie los, diese „Wanderschaft durch die Welt des Fußballs“, wie Schatzschneider diese Vielzahl an Aktionsfeldern bezeichnet.
Von Stockholm zu Manchester City. Dort nur Reservist, also Leihe zum FC Burnley. Dann zurück nach Manchester, doch nun Leihe zu Feyenoord. Danach zurück zu Man City, dann wieder Leihe zu Stoke City, danach zu Celtic Glasgow.
Vor fünf Jahren schließlich nach Spanien. Dort erst zwei Jahre bei Celta Vigo, dann zu Deportivo Alaves, wo fünf Treffer in 44 Spielen keinen Durchbruch in die erste Formation mehr zu garantieren schienen. Sein berühmtester Trainer auf dieser Fußball-Rally war Ronald Koeman. Mit 20 Treffern in 23 Spielen hatte Guidetti dort wohl auch seine beste Zeit.
Kocak nutzt sein Potential
So war Hannover 96 in der Winterpause hellwach. Seit seinem Wirken als Assistent von Horst Held war der neue Sportchef Gerhard Zuber mit der Personalie John Guidetti bestens vertraut. Kenan Kocak gab grünes Licht aus sportlicher Sicht und zeigt nun die Fähigkeit, dessen Potenziale für sein Team ganzheitlich zu nutzen.
Wie diese Potenziale auf dem Spielfeld sichtbar sind, möchten wir nochmals von Dieter Schatzschneider wissen. Die Expertise eines Stürmers über einen Stürmer erscheint trefflich. Und der sagt: „John Guidetti ist zwar Stürmer, doch schon der offensivste verlässliche Verteidiger. John ist ein Balljäger und er erkennt, wo gefährliche Räume zu schließen sind. Vorne hält er die Bälle immer sicherer fest und er ist ein schlauer Spieler.“
Was ein Stürmer damit meint, wenn er sagt, dass ein Stürmer schlau sei, ist klar: Schlaue Spieler holen Freistöße raus, entfernen sich ruckzuck aus dem Infight und lassen sich nicht provozieren.
Wie es weitergeht mit John Guidetti und Hannover 96 – dies steht in den Sternen.
Die Transferentschädigung nach Spanien soll zwischen zweieinhalb und dreieinhalb Millionen Euro liegen. Dieter Schatzschneider würde ihm gern weiterhin in Hannover zuschauen: Beim kämpfen, spielen und Tore erzielen. „Es könnten freilich noch ein paar mehr sein als bisher“, wünscht sich „Schatz“.
Seit drei Jahren ist auf dem Popmusik-Markt übrigens der Song einer schwedischen Band über den Fußball-Nationalspieler der Schweden präsent. Dort erfolgt die Liebeserklärung singend: „John Guidetti will you mary me, will you mary me?“
Verbleib an der Leine über den Sommer hinaus?
Bei Hannover 96 wird nun niemand ebenfalls singen müssen, doch jetzt kommen die Zeiten, in denen Martin Kind, Gerhard Zuber und Kenan Kocak sich bemühen werden, die aktuelle sportliche Liebesbeziehung zwischen dem Klub und diesem besonderen Spieler zu einer Langzeitbindung entwickeln zu können.
Denn ein überzeugendes „Ja, ich will“ des Spielers würde eine bessere Basis dafür schaffen, die Verhandlungen mit dem spanischen Eigentümer in eine kooperativere Richtung lenken zu können.
Andernfalls würde weiterhin eher ein altes Kneipenlied die Lage wiederspiegeln. Denn kennen Sie noch den: „Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld? Wer hat so viel Pinke-Pinke?“ Obendrein in diesen publikumsfreien Zeiten in dieser 2. Bundesliga.