Chapeau, Dennis Diekmeier
Die besondere Leistung des 28. Spieltags
Um Anfragen aus der Welt der Medien muss sich Mirko Votava eigentlich keinen Kopf mehr machen. Seit nunmehr 35 Jahren ist er im Angestelltenverhältnis für Werder Bremen aktiv. Dabei hat sich gegenüber seinem Verein ein stabiles Fundament an Loyalität, Identifikation und Diskretion angesammelt.
Das wissen Journalisten und rufen erst gar nicht an. Obwohl Mirko Votava als Mitglied der dortigen Abteilung „Scouting“ aktuell zu den Geheimnisträgern zählt und ein spannender Gesprächspartner sein könnte. Doch längst versteht sich von selbst: Auskünfte über den SV Werder sind für Votava tabu. Und jetzt erst recht.
Dennoch lässt sich Mirko Votava in diesen Tagen nun doch wieder einmal bereitwillig zitieren. Dafür sorgt aktuell Dennis Diekmeier. Den hat er einst bei Werder Bremen ausgebildet und der hat nun nach 287 Profispielen im Alter von 30 Jahren endlich zum ersten Male den Ball in das Tor des Gegners befördert. Nicht mit dem rechten Bein, nicht mit seinem linken sondern mit seinem Schädel hat Diekmeier dieses neue Fußballglück erzwingen können. Eine Premiere mit großem Gesprächsbedarf. Sogar für Mirko Votava.
„Sie sind schon der Dritte heute, der wegen Dennis Diekmeier anruft. Sogar der Spiegel hat sich gemeldet“, entgegnet Votava schmunzelnd, als Liga-Zwei.de vorstellig wird. Das Interessante für uns ist, herauszufinden, warum Diekmeier unter seiner Regie bei den U19-Junioren des SV Werder noch mit 10 Treffern in 51 Spielen in Erscheinung getreten ist, doch danach all die vielen Jahre nicht mehr.
„Die herausragenden Begabungen von Dennis Diekmeier waren schon immer seine Geschwindigkeit, seine tolle Dynamik und seine Fähigkeit, bei vollem Sprint wunderbar zu flanken. Dafür braucht es Raum, möglichst viel Raum. Und deshalb habe ich ihn eines Tages bei Werder rechts hinten aufgestellt und zum Rechtsverteidiger geschult. Ich bin überzeugt, dass Dennis weiß, dass dies eine gute Maßnahme war“, erinnert sich Mirko Votava und übernimmt somit gern ein Stück Verantwortung für dessen lange Durststrecke als Torschütze.
Wenngleich er mit einem leichten Lachen ergänzen mag: „Ich habe Dennis selbstverständlich niemals verboten, selbst auf Torejagd zu gehen. Doch nach der Positionsveränderung haben wir alle voller Freude erleben können, dass kein Stürmer des Gegners Diekmeier weglaufen kann. Damit machte sich Dennis noch wertvoller für unser Team.“
Warum dem Sprinter aus dem Bremer Vorort Thedinghausen der Sprung in Werders Bundesligateam der Bremer damals dennoch nicht gelungen ist, rekonstruiert uns Votava nicht mehr im Detail. Er erinnert sich allein daran, dass Thomas Schaaf mit Clemens Fritz und Petri Pasanen die Position des Rechtsverteidigers in guten Händen wusste. Gibt aber zu: „Ich war mir schon damals sicher, dass Dennis mit seiner enormen Rasanz höher spielen kann als 3. Liga.“
Diekmeier ging wie Kruse und Harnik
Doch Diemeier mochte nicht länger warten und wechselte nach einer drittklassigen Spielzeit in der U23 des SV Werder zum 1.FC Nürnberg. Dieselben Erfahrungen haben Max Kruse und Martin Harnik, also weitere Eigengewächse an der Weser, ebenfalls gemacht. Doch während sie später zurückgekehrt sind, spielte sich Diekmeier beim HSV zur festen Größe. Blieb acht Jahre dort. Bis zum gemeinsamen Abstieg in die 2. Bundesliga.
Doch nach der Trennung vom HSV hat sich das Diekmeiers Management auf dem hammerharten Markt des Fußballs verschätzt. Eine erstklassige Alternative zum HSV realisierte sich nicht. Nichts mochte passen, nichts mochte gefallen, nichts hatte Dennis Diekmeier in der Hand, als die Frist zum Wechsel in ein neues Aktionsfeld abgelaufen war.
Ein gestandener Fußballprofi mit über 200 Einsätzen in der Eliteliga des hiesigen Fußballs war mit 28 Jahren plötzlich arbeitslos. Was allein blieb, waren der starke Zusammenhalt des eigenen Familienverbunds sowie der feste Glaube an die eigenen sportlichen Ressourcen. Also: Zuschauen, abwarten und hoffen.
Wie Koschinat sein schönste Weihnachtsgeschenk bekam
Nach einem halben Jahr Zwangspause tritt Uwe Koschinat in das Fußballerleben des Dennis Diekmeier. „Ich habe nicht geglaubt, dass es irgendeine Chance geben könnte, Dennis nach Sandhausen zu holen. Ich hatte keine Argumente. Sportlich nicht, denn wir waren für die Fußballwelt zur Halbzeit unserer Spielzeit quasi abgestiegen. Und wirtschaftlich ohnehin nicht“, erinnert sich Uwe Koschinat spürbar gern an diese drei Stunden, in denen er sich, wie er heute zugibt, das schönste Weihnachtsgeschenk seines Lebens erkämpft habe.
Denn Uwe Koschinat verkörpert diese Fähigkeit, sich voller Empathie einem anderen Menschen hinzugeben, sich einzulassen und Lösungen aufzuzeigen. Dennis Diekmeier hatte in diesen drei Stunden mit Uwe Koschinat keine andere Wahl als sich fesseln zu lassen von der Idee, dieses Projekt anzutreten. Er musste einfach erkennen, wie sehr er von diesem Trainer und bei diesem SV Sandhausen gebraucht werde.
„Er hat diese Chance, die ich ihm aufgezeigt habe, komplett zu seinem Ding gemacht. Hat weder unseren üblen Abstiegskampf noch den fehlenden Luxus an seinem neuen Arbeitsplatz beklagt. Sondern begeistert entschieden: Trainer, wir machen das“, berichtet Uwe Koschinat immer noch so inspiriert als habe dieses entscheidende Treffen erst gestern stattgefunden.
Denn sie haben es gemeinsam gut gemacht in Sandhausen. Verdammt gut sogar. Denn Diekmeier hat bis heute in allen Belangen Wort gehalten. Hat sämtliche Ankündigungen mit Leistung gefüllt. Am 19. Spieltag der vorigen Spielzeit ist Diekmeier in Sandhausen eingestiegen, am 25. Spieltag hat ihn Koschinat zum Kapitän des Teams bestimmt. Bis zur finalen Rettung verloren sie gemeinsam in zehn Spielen nur einmal und schafften so vor einem Jahr das große Fußballwunder von Sandhausen. Mit einem herausragenden Diekmeier als Kapitän, Leitwolf, Dampfmacher und Torvorbereiter.
Ziemlich überrascht hatte Diekmeier die Fußballwelt bereits mit seiner Bereitschaft zum Einstieg in Sandhausen. Doch noch überraschender mutet es an, dass Diekmeier nach seinem starken Comeback dort dem vergleichsweise kleinen Verein erhalten geblieben ist. Bis 2022 hat er nun Vertrag dort.
Und wenn es für alle Beteiligten so gut weitergeht wie aktuell kann es gut sein, dass der SV Sandhausen zu einer weiteren Langzeit-Liaison für Diekmeier gerät.
Als Diekmeiers Ausbilder Mirko Votava sein letztes Bundesligator für Werder Bremen erzielt hat, war er schon jenseits der 40. Sollte also Diekmeier in dieser gemeinsamen Arbeit ein wenig von Votavas Robustheit geerbt und konditioniert haben, blieb ja auch ihm noch eine lange Wegstrecke im Profifußball.