Chapeau 2020, Frank Schmidt

Die besondere Leistung dieses Fußball-Jahres

Autor: Luis Hagen Veröffentlicht: Montag, 28.12.2020 | 09:00
Frank Schmidt beim 1. FC Heidenheim

Taktik-Ass und Taktgefühl: Frank Schmidt überzeugte 2020 mit dem 1. FC Heidenheim. ©Imago images/eu images

Um Frank Schmidt treffend zu skizzieren braucht es einen Rückblick in den Fußball des Jahres 2013. 

Zuerst waren da nur diese riesigen Plakate rechts und links des Eingangs. Sie zeigten Frank Schmidt als Konterfei. Mit weit aufgerissenem Mund. In dem Moment, in dem er etwas Wichtiges herausgebrüllt haben muss. 

Irgendwas zwischen Sieg und Niederlage. Total emotional und mit starker Präsenz. Oder besser: Mentalität. Frank Schmidt galt darin schon damals als Meister. Darunter in Feuerwehr-Rot der Titel: Trainer! Mit dickem Ausrufezeichen.

Zwei Stunden später schien der Applaus des Premieren-Publikums im Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin kein Ende nehmen zu wollen. Auf den Rängen war die Begeisterung groß. Vor allem für Frank Schmidt.

Hauptrolle mit Energie, Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit

Denn in dem Film, der Aktionsfelder, Ambitionen und Arbeitsweisen dreier Hoffnungsträger in der Welt der Fußball-Lehrer dokumentiert, ist Frank Schmidt die Mittelpunktfigur. Nicht von vornherein. Doch mit großer Energie, Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit hat es ihn in diese Hauptrolle hingetragen. 

Frank Schmidt ist der Mann, der für Highlights sorgt und gleichermaßen für Authentizität steht. So für die stärksten Emotionen, Statements und Inhalte. Um es mit der Filmbranche zu halten: Frank Schmidt ist der Star dieser Doku in Spielfilmlänge mit dem Titel „Trainer!“    

Bescheidenheit als Grundsatzentscheidung

Die Menschen, die die Premiere in diesem Moment, erleben durften, haben das so empfunden. Frank Schmidt indes überhaupt nicht. Als die Macher und Mitwirkenden des Werks ins Rampenlicht der Bühne gebeten wurden, verließ er seinen Sitzplatz nicht. Der Erhalt von Bescheidenheit verlangte Zurückhaltung. Das ist eine Grundsatzentscheidung. Vor allem in einer Atmosphäre, in der er sich nicht heimisch und sattelfest fühlt. Allein aus Respekt vor den Autoren gab er nach.

Drei Wochen zuvor hätte er sich liebend gern feiern lassen. Doch damals hatte Schmidts Mannschaft mit einem 0:0 gegen Kickers Offenbach die letzte Aufstiegs-Chance verballert. 

Wenn in diesem Moment ein letzter Sieg geglückt und der 1.FC Heidenheim schon 2013 in die 2. Bundesliga aufgestiegen wäre, hätte dieser Kino-Film diesen Triumph treffend festgehalten. Ärgerlich. Denn ohne dieses sportliche Happyend empfand Frank Schmidt an diesem Kino-Abend in Berlin trotz großen Zuspruchs in seinem Innern einen tiefen Makel.

Tim Göhlert über Frank Schmidts Leitsatz
„ Wer hinfällt, muss sofort wieder aufstehen ”

Doch zwölf Monate später holte Frank Schmidt, eben wieder überzeugter Verfechter der Mentalität, mit seiner Mannschaft Versäumtes nach. „Wer hinfällt, muss sofort wieder aufstehen. Das ist der Leitsatz, den er seinen Spielern jeden Tag predigt“, erklärt Tim Göhlert, elf Jahre lang feste Größe in Schmidts Abwehrverbund.

Frank Schmidt und Tim Göhlert

Gemeinsame Vergangenheit: Frank Schmidt (l.) und Tim Göhlert. ©Imago images/Matthias Koch

Seit 2014 ist der 1. FC Heidenheim ein fester Bestandteil der 2. Bundesliga. Die Mannschaft schöpft aus einem stetig steigenden Mehrwert an Intensität, Leidenschaft und Flexibilität. Der Klub insgesamt profitiert aus der Geschäftstüchtigkeit des Holger Sanwald. Wen Frank Schmidt besonders gut, also wertvoll, macht, den verkauft der Vorstandsvorsitzende zu Höchstpreisen. 

Sanwalds Konsens mit Frank Schmidt ist Programm in Heidenheim. Wirkt zuweilen wie ein Partnerschaftsabkommen auf Lebenszeit. „Zwischen uns passt kein Blatt“, stellt Sanwald gern klar, was ohnehin niemand in Heidenheim bezweifelt.

Offenbar passt auch kein anderer Klub dazwischen. Weil Frank Schmidt es nicht einmal im Traum in den Sinn kommen würde, mit externen Angeboten zu kokettieren, weiß niemand wann und wohin genau er hätte gehen können in den vergangenen Jahren. Erfolgreichen Jahren mit dem 1.FC Heidenheim. Doch nur rund 70 Kilometer sind es jeweils nach Stuttgart und Augsburg. Wer weiß.  

An dieser Stelle kommen die aktuellen Umstände und die zu überwindenden Schwierigkeiten ins Spiel. In diesem Sommer haben die Heidenheimer zum ersten Mal an die Pforte getrommelt, die ins Fußball-Oberhaus führt. Sie haben alles Mögliche versucht, um sie zu öffnen und die Chance ihres Lebens zu nutzen. Doch sie ist nicht aufgegangen. 

Schmerzhafte Relegation: Zwei Remis, doch kein Aufstieg

Frank Schmidt und seine Heidenheimer waren in beiden Relegations-Kräftemessen nie unterlegen und erlebten doch ihre schwerste Niederlage: Zwei Remis, doch kein Aufstieg. Werders 2:2 in Heidenheim war am Ende mehr wert als Frank Schmidts 0:0 in Bremen. So bleibt alles wie es ist: Werder Liga eins, Heidenheim Liga zwei.

Wieder sitzt der Schmerz tief. Gar tiefer denn je zuvor. Viel tiefer als nach dem Cup-Spektakel bei den Bayern im April 2019. Welch ein Pokalauftritt in München, den Lewandowski kurz vor Spielende entschied. Zuerst schubste er Heidenheims Busch in eine Berührung des Balles mit dem Unterarm. Dann verwandelte er auch dieses Elfmetergeschenk zum 5:4. Wäre das Match umgekehrt ausgegangen, wäre dies allemal verdient gewesen.

Doch wie wird die Enttäuschung des vorigen Fußballsommers in Heidenheim ausgehen? Ist sie diesmal von Dauer? Oder wird Frank Schmidt das Ruder auch diesmal herumreißen? Viele Insider der 2. Bundesliga haben Heidenheims Fußball in einer schwierigen Nagelprobe gesehen. Nicht alle mit gutem Ausgang. 

Doch zum Ausklang des Fußball-Jahres 2020 scheinen diese Fragen bereits schon wieder beantwortet: Der 1. FC Heidenheim und Frank Schmidt greifen aufs Neue an. Mit neuem Personal zwar, doch wieder mit derselben Mentalität, die Frank Schmidt vorlebt, lehrt und auf das Spielfeld befördert.

Qualität verlangt und bekommt Schmidt auch von seinen engsten Mitarbeitern. Sein Credo: Erfolg braucht ein starkes Team hinter dem Team. Heidenheim hat es.

Göhlert und Schmidt bildeten die Innenverteidigung
„ Mit ihm zusammenzuspielen, war ein großes Glück für mich ”

Sich vom Fußball aus der Handschrift des Frank Schmidt zu prägen zu lassen, hat Tim Göhlert mehr als ein Jahrzehnt lang erleben können. Die ersten beiden Spielzeiten haben sie noch gemeinsam die Innenverteidigung gebildet. Auch hier war Schmidt für Göhlert bereits Wortführer, Taktgeber und ein Stückweit gar Mentor. „Noch mit ihm zusammenzuspielen, war ein großes Glück für mich“, sagt Göhlert im Gespräch mit Liga-Zwei.de, „denn Frank hat mich zum Fußballprofi gemacht.“ 

Nicht vielen Spielern ist so gut gelungen wie Göhlert, bei Frank Schmidt dauerhaft zu bestehen. „Wer das schaffen will, muss mutig sein, widerstandsfähig, bereit sein, alles rauszuhauen. Muss also an seine körperlichen Grenzen gehen können“,  bekräftigt Tim Göhlert.

Als Frank Schmidt 2007 auf Betreiben Sanwalds Cheftrainer wurde, spielte der 1.FC Heidenheim in der Oberliga Baden-Württemberg. Hoch oben am Schloßberg stand noch kein Stadion, geschweige denn eine Arena für 25.000 Zuschauer. Sondern eine Sportanlage mit einer 400-Meter-Laufbahn. Frank Schmidt verkaufte parallel Versicherungen und Tim Göhlert sah seine Lebens-Priorität darin, in Ulm Medizin zu studieren und Arzt zu werden. 

Das Studium absolvierte Göhlert parallel, doch bis zum Absprung ins Berufsleben als Mediziner ließ sich Tim Göhlert viel Zeit. Bis 2016 feierte er unter der Regie von Frank Schmidt drei weitere Aufstiege.

Aus dem Stegreif mit perfekten Analysen

Wenngleich es ihm nicht auf ersten Blick anzusehen ist: Sogar Frank Schmidt ist nicht immer unter Strom. Manchmal setzt er sich auf sein Fahrrad und fährt durch den Wald. „Danach ist der Kopf frei und meist auch eine neue Idee geboren“, hat er kürzlich öffentlich verraten. Nur wenigen Trainern gelingt es aus dem Stegreif so perfekt, direkt nach den Spielen seine Analysen zu formulieren. 

Dass es jetzt zum Jahreswechsel doch schon wieder so gut läuft in Heidenheim, macht auch Tim Göhlert immer noch glücklich. „Freue mich, dass wir schon wieder eine so gute Mentalität im Team haben. Frank stellt so auf und lässt so spielen, dass es für die Mannschaft nachvollziehbar ist. So ist es wieder sehr schwer, uns zu besiegen“, berichtet Göhlert.

Er sagt „wir“, obwohl er nur noch stiller Beobachter ist. Und so fügt seinen Herzenswunsch frank und frei sogleich hinzu: „Die 2. Bundesliga ist nicht das Ende des Heidenheimer Höhenflugs.“

Nun, wie immer sorgt Frank Schmidt in Heidenheim für das Wichtigste: Für Mentalität eben. Um sofort wieder aufstehen zu können, wenn man hingefallen ist.